Jäger als "Ersatzwölfe" ?
Vortrag anlässlich des 2. Symposiums "Natur ohne Jagd" in Berlin vom 1. August 2003.


Ausrottung vor über 100 Jahren

Wenn Jäger sich als Ersatzwölfe bezeichnen, frage ich mich erstmal, warum denn die Wölfe überhaupt ersetzt werden müssen. Was ist mit den echten Wölfen passiert? Die Antwort darauf lautet meistens "Sie sind ausgestorben". Ausgestorben, das klingt immer so, als hätten sie Selbstmord begangen oder als wären sie halt einfach verdrängt worden, weil ihnen der Lebensraum genommen wurde. Die Wahrheit ist aber, sie sind ausgestorben worden. Genauer gesagt wurden sie systematisch ausgerottet, vor über 100 Jahren. Und zwar von Jägern.
Das Ludwigsburger Tageblatt veröffentlichte am 31.12.1846 eine amtliche Anordnung und Bekanntmachung des königlichen Forstamtes am Stromberg, in der eine Belohnung für diejenigen ausgesetzt wurde, die an Wolfsjagden mitwirken.
Auch in anderen Teilen Deutschlands wurde dem "Raubzeug" mit gnadenloser Härte nachgestellt.
Die illustrierte Jagdzeitung berichtet in der Ausgabe vom 1.11.1876, dass die Finanzverwaltung von Polnisch-Preußen eine Instruktion herausgab, in der es wörtlich hieß: "Zu Ausrottung derer Bären, Wölfe und anderer schädlichen Raubtiere müssen die Forstbediensteten sehr ernstlich angehalten werden."

Die Jäger kamen dieser Aufforderung gerne nach. Wölfe wurden erschossen, vergiftet, erschlagen, in Gruben gefangen und teilweise bei lebendigem Leibe verbrannt.


Die Rückkehr der Wölfe

Doch wie sieht die Situation heute aus?
Mittlerweile kommen die Wölfe wieder nach Deutschland zurück. Immer wieder schwimmen Wölfe über die Oder und gelangen so von Polen nach Deutschland. Ein kleines Rudel ist in der Lausitz heimisch geworden und hat auch im letzten Jahr wieder Nachwuchs bekommen, wodurch sich Wolfsfreunde nun auf schätzungsweise 10 dauerhaft auf deutschem Boden lebende Wölfe freuen können. Auch in Bayern wurden bereits Grenzgänger aus Tschechien gesichtet.
Der Lebensraum für Wölfe wäre vorhanden: Nach Berechnungen der "Wildbiologischen Gesellschaft München" ergab sich, dass in den ausgedehnten und enorm wildreichen Wäldern der Schorfheide und der Märkischen Schweiz nordöstlich bzw. östlich von Berlin "Platz" für mindestens 100 bis 200 Wölfe wäre. Es wäre sogar eine sechs- bis achtmal höhere Dichte an Beutetieren als im klassischen Wolfsgebiet des Yukons im Norden Kanadas vorhanden. Jährlich schießen die Jäger allein in Brandenburg Rehe, Hirsche und Wildschweine in einer solchen Menge, dass das Fleisch 2000 Wölfe das ganze Jahr über ernähren könnte.

Doch hat sich die Einstellung der Jäger gegenüber den Wölfen geändert?
Diesbezüglich kann man die Jägerschaft in 3 Kategorien einteilen:

- Die erste Kategorie, die aber leider deutlich in der Minderheit ist, befürwortet die Präsenz von Wölfen (dies sind vor allem Förster, denen ein gesunder Wald wichtiger ist, als viel Schiessmaterial in Form von Rehwild).

- Jäger der zweiten Kategorie geben zwar an, die Rückkehr der Wölfe zu befürworten, jedoch nur mit dem Hintergedanken, diese Wölfe in Zukunft bejagen zu dürfen.
Zitat eines Jägers: "Die Rückkehr der größeren Prädatoren ist nicht nur ein Zeichen der Hoffnung an sich: sie wird hoffentlich auch dazu führen, dass sie irgendwann wieder bejagt werden können."
Dazu muss man wissen, dass deutsche Jäger momentan viel Geld ausgeben um z.B. in Russland auf Wolfsjagd gehen zu können.

- Jäger der dritten Kategorie lehnen die Präsenz von Wölfen strikt ab. Auch hierzu ein Zitat eines Jägers:
"wenn es nur EINEN Revierpächter gibt, der sich über die Anwesenheit von Luchs und Wolf im EIGENEN Revier freut, dann beginne ich am Verstand der Menschheit zu zweifeln."
Etwas detailierter erklärt es ein anderer Jäger, der sich anonym in einer Fernsehdokumentation über Wölfe in Deutschland äusserte:
"Ich hab hier Wald gepachtet, für den ich ca. 4000 Euro Jagdpacht im Jahr bezahlen muss. In dem Gebiet ist ja ein ziemlich guter Rotwildbestand, über den Verkauf kann ich einen Gutteil der Jagdpacht finanzieren. Sollte hier jedoch ein Wolf im Gebiet sein, würden sich diese Verhältnisse bestimmt ändern. Ich müsste mir überlegen was ich da mache. Eventuell könnte es hier abends mal knallen und dann kann keiner mehr nachweisen, was da gerade gewesen ist."


Wolfsabschüsse der letzten Jahre

Jäger argumentieren gerne, Jagd diene dem Artenschutz. Da fragt man sich allerdings, warum denn die Artenschutzbemühungen der Jäger spätestens dort enden, wo es um Beutegreifer geht.
Mit Ausnahme der Wölfe in der Lausitz wurden in den vergangenen Jahrzehnten praktisch alle vereinzelt nach Deutschland eingewanderten Wölfe von Jägern erschossen. Von Anfang der 60er Jahre bis Anfang der 90er Jahre war der Weg in den Westen auch für Wölfe durch den "antifaschistischen Schutzwall" versperrt und in der DDR durften und sollten Wölfe gejagt werden. Mindestens 13 Wolfsabschüsse sind aus dieser Zeit bekannt. Eine Wolfsfähe, die es 1973 trotz innerdeutscher Grenze bis in die Lüneburger Heide schaffte, fiel dort einer Treibjagd zum Opfer.
Seit der Wiedervereinigung gilt auch in Ostdeutschland das westdeutsche Bundesjagdgesetz, wonach Wölfe nicht zu den bejagbaren Arten gehören. Sowohl das Bundesnaturschutzgesetz vom 20. 12. 1976 als auch das Washingtoner Artenschutzabkommen stellen den Wolf unter den besonderen Schutz des Artenschutzrechts und die Tötung eines Wolfs ist deshalb in diesem unserem Lande strafbar. Da verwundert es kaum, dass fast alle seit Anfang der 90er Jahre in Deutschland getöteten Wölfe natürlich nie absichtlich erschossen wurden, nein, es waren meist Verwechslungen mit wildernden Hunden oder gar Füchsen, denen seit dem Fall der Mauer mindestens 7 Wölfe zum Opfer fielen. Der Jagdschutzparagraph 23 des Bundesjagdgesetzes bietet Jägern eine bequeme juristische Grauzone, die es ihnen ermöglicht, ohne jegliche rechtliche Konsequenzen gegen internationale Artenschutzabkommen zu verstossen. Mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein Jäger für den Abschuss eines Wolfes zur Rechenschaft gezogen wurde. Wie viele Wölfe ausserdem nach dem SSS-Verfahren, also "Schiessen, Spaten, Schnauze halten" unauffällig beseitigt wurden, darüber kann man nur spekulieren.

Ich habe mir exemplarisch einige Fälle herausgesucht:

1. Im Mai 1991 wurden in Brandenburg insgesamt 4 Wölfe erschossen. Der erste Wolf tauchte bei Perleberg in der Nähe eines Zoos auf, vermutlich fühlte er sich von seinen im Zoo eingesperrten Artgenossen angezogen, was den Tierparkdirektor veranlasste, diese "Bedrohung von Ordnung und Sicherheit" eliminieren zu lassen. 2 weitere Wölfe wurden von Jägern erschossen - Verwechslung mit wildernden Hunden, was sonst. Der vierte Wolf hatte sich, vermutlich durch einen Autounfall verletzt, in einen Keller geschleppt, wo er unter Tollwutverdacht im Beisein des Ordnungsamtes und des Amtstierarztes erschossen wurde. Der Tollwutverdacht bestätigte sich nicht.

2. Am 9. Januar 1999 erschoss ein Gastjäger auf einer Treibjagd einen 2-3 Jahre alten Wolfsrüden. Der Jäger begründete seinen Abschuss damit, dass er aus "ethischen" Gründen gehandelt habe, weil das Tier auf drei Beinen gelaufen sei und schwer verletzt schien. Jeder, der sich mit Wildtieren auskennt, weiß, dass diese ausserordentlich zäh und überlebensfähig sind. Ein Laufen auf 3 Beinen rechtfertigt daher nicht den Abschuss eines vom Aussterben bedrohten Tieres. Bester Beweis dafür ist der im Jahr 2000 eingefangene, dreibeinige Wolf "Naum", der mittlerweile sogar Vater geworden ist.
Und für wie "ethisch" hält sich ein Jäger, der sich sofort nach dem Abschuss, neben dem Wolf posierend, stolz von der Presse ablichten lässt? Bei der anschliessenden Untersuchung fanden Gerichtsmediziner heraus, dass der Wolf offensichtlich vor seiner Erlegung bereits angeschossen wurde. Der NABU und die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe erstatteten Anzeige, das Verfahren wurde schliesslich eingestellt und der Jäger musste lediglich eine läppische Geldstrafe von 1500 DM bezahlen.

3. Am 19. Januar 2003 erschoss ein Jäger die Wölfin Bärbel - angeblich hatte er sich von dem vermeintlichen Schäferhund bedroht gefühlt, als er sich einem von der Wölfin gerissenen Reh näherte, so dass er sich und sein nacktes Leben nach eigenen Angaben nur durch einen tödlichen Schuss aus 15 Meter Entfernung retten konnte. Bärbel war zwar eine Gehegewölfin, die im Sommer 2002 aus einem Tierpark in Klingenthal ausgebrochen war, sie wurde jedoch vom Niedersächsischen Umweltamt ausdrücklich unter Schutz gestellt. Das anschliessende Verfahren wurde eingestellt und der Jäger mit der Begründung freigesprochen, dass die Staatsanwaltschaft nicht beweisen konnte, dass der Jäger vorsätzlich gehandelt habe.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass Wolfsschutz in Deutschland leider nur auf dem Papier existiert. Als Jagdscheininhaber kann man auch heutzutage völlig ungestraft streng geschützte Tiere abknallen, man muss sich hinterher nur einen guten Anwalt nehmen.

Diese Tatsache ist umso unverständlicher, unter dem Gesichtspunkt, dass der Wolf von der "Schutzgemeinschaft Deutsches Wild" zum Tier des Jahres 2003 erklärt wurde und zwar mit der Begründung, dass er besonders schutzbedürftig sei.


Warum echte Wölfe statt Ersatzwölfe?

Viele Menschen werden sich nun fragen, was denn eigentlich an der Rückkehr der Wölfe so positiv sein soll.
Hierzu habe ich ein schönes Zitat von Erik Zimen aus dem Wolfmagazin 1/1996 gefunden:
"Für die einen ist der Wolf zum Hoffnungsträger für eine nicht völlig vom Menschen bestimmte Umwelt geworden, zu einem Symbol für das abenteuerlich Unberechenbare in der Natur bis zu einer neuromantischen Zivilisationsabkehr und vermeintlich neuer Spiritualität.
Für die anderen ist seine Wiederkehr ein Rückfall in menschliche Abhängigkeit von der Natur und ihren dunklen Kräften, der Wolf ein Konkurrent des Menschen, Feind und Schädling seiner wirtschaftlichen Interressen.
Vom Ausgang dieser Auseinandersetzung hängt nicht nur die Zukunft des Wolfes ab. Es sind wir selber, die am Scheideweg stehen.
Entweder, wir akzeptieren den Wolf als einen unverzichtbaren Teil unser aller Natur, oder wir werden ihm nur um einige Jahre versetzt in den Untergang folgen."
Starke Worte von Deutschlands bekanntestem Wolfsforscher, der im Mai 2003 verstorben ist. In Frieden möge er ruhen.
Zwar hat sich die Einstellung der Bevölkerung gegenüber dem Wolf in Deutschland in den letzten Jahren stark gebessert, trotzdem gibt es immer noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten und Vorurteile abzubauen.
(Deshalb habe ich einen Infoflyer entworfen, den sich jeder
hier herunterladen kann. Das Kopieren und Weiterverbreiten dieses Flyers ist ausdrücklich erwünscht.)

Doch was sind nun im Hinblick auf die Jagd die Vorteile der echten Wölfe gegenüber den zweibeinigen, grünberockten Ersatzwölfen?
Folgende Stichpunkte sind mir dazu eingefallen:
- Wölfe reissen meist nur schwache und kranke Tiere, gelegentlich gesunde, junge Tiere, aber nie die Tiere mit den prächtigsten Geweihen.
- Wölfe sind eine weitaus geringere Gefahr für Menschen.
- Wölfe verschandeln die Landschaft nicht mit Hochsitzen und benutzen auch keine Geländewagen.
- Wölfe vergiften die Umwelt nicht mit Blei.
- Wölfe machen weniger Lärm.
- Wölfe schütten nicht tonnenweise Mais in den Wald.
- Wölfe pöbeln keine Spaziergänger an.

Einziger Nachteil, der mir eingefallen ist:
- Wölfe sind eine Gefahr für Haustiere.

Doch dies trifft auch auf die zweibeinigen Jäger zu, also herrscht Gleichstand, was diesen Punkt angeht.

Wie verhält es sich mit dem Räuber-Beute-Verhältnis bei den echten und bei den Ersatzwölfen?
Wölfe testen ihre Beutetiere an. Erweist sich die Beute als zu schnell oder zu wehrhaft, wird die Verfolgung abgebrochen. Auf diese Weise fallen den Wölfen in erster Linie kranke und alte Tiere zum Opfer, der Bestand wird dadurch gesund gehalten.
Könnten Jäger die Wölfe ersetzen? Vielleicht, wenn sie es wollten, allerdings sieht die Interressenlage bei den Ersatzwölfen halt anders aus. Hegeabschüsse schön und gut, aber man möchte sich ja nicht zum Schädlingsbekämpfer degradieren lassen, sondern ordentlich Schiessmaterial vor die Flinte bekommen und je größer das Geweih, desto größer der Stolz des Waidmanns auf der Hegeschau. Mit Verweis auf die entstandenen Verbissschäden versucht man sein eigenes Dasein zu rechtfertigen. Dass man das Wild vorher durch Winterfütterung künstlich aufgepäppelt und eine natürliche Auslese verhindert hat, wird dagegen gerne verschwiegen.


Wildnis wagen
Eine gute Nachricht kommt aus Sachsen: Der
BUND bekommt den Zuschlag für Lohsa.
Ca. 1600 Hektar ehemalige Tagebaufläche bei Lohsa will der
BUND Sachsen als Lebensraum für Seeadler, Kraniche, Triel und weitere seltene Tier- und Pflanzenarten durch Ankauf dieser Flächen auf Dauer bewahren. Auch die Lausitzer Wölfe sind bereits bis dorthin vorgestossen, wo sie unseren Schutz vor trophäensüchtigen Jägern brauchen.
Jetzt wurde dem BUND Sachsen von der Bundesvermögens- und verwertungsgesellschaft Berlin (BVVG) die Flächen um Lohsa zugesprochen. Das Gebiet befindet sich am Westrand der Muskauer Heide, einer der größten unzerschnittenen Naturräume in Deutschland, die sich im Osten bis an die polnische Grenze ausdehnen, d.h. 450 km² Natur pur.
Im Westen schließt sich das Gebiet des Spreetal an, im Norden die waldreichen Naturräume Brandenburgs und im Süden das größte Naturschutzgebiet Sachsens, die Königsbrücker Heide.
Die BUND-eigenen Flächen bilden somit den "Kristallisationspunkt" eines weitreichenden Netzes von Lebensräumen, Biotopverbund in mitteleuropäischen Maßstäben.
Auf diesen Flächen bestimmt nur die Natur wohin es geht. Der BUND will "Wildnis wagen".


Abschliessen möchte ich meinen Artikel mit einem Zitat von Elli Radinger aus dem Wolfmagazin 2/1994:
"Das Schicksal des Wolfes hängt unweigerlich mit dem der Wildnis zusammen. Die unterschwellige Frage der Wiedereingliederung von Wölfen ist nicht, ob die Interressen von Viehzüchtern, Jägern und Umweltschützern in Einklang gebracht werden können, sondern ob die Beziehung der Menschheit zur wilden Natur weiterhin eine der versuchten Kontrolle sein wird oder eine des Entgegenkommens."

Lieber echte Wölfe, statt Ersatzwölfe !